Vereinigtes Königreich: Suche nach Deal geht weiter

eingestellt von Björn Hinrichs am 1. Februar 2019 | Kategorie: Wirtschaftspolitik

Vereinigtes Königreich: Suche nach Deal geht weiter

Brexit-Deal: Worum geht es eigentlich?

Das Vereinigte Königreich (United Kingdom, UK) will am 29. März die Europäische Union (EU) und damit den europäischen Binnenmarkt verlassen. Damit wird UK für die EU aus wirtschaftlicher Sicht zu einem sogenannten Drittland, ähnlich wie Norwegen, die Schweiz oder Kanada. Für den Austausch mit diesen Ländern gibt es umfangreiche Handelsabkommen, die Rechte und Pflichten der beteiligten Länder im grenzüberschreitenden Austausch regeln. Im Fall von Norwegen und der Schweiz sind dies sogar feste Organisationen wie der Europäische Wirtschaftsraum bzw. die EFTA, bei denen viele Regeln bereits standardmäßig festgeschrieben sind. Solche Abkommen oder Organisationen benötigen viele Jahre der Vorbereitung. Deshalb haben sich die britische Regierung und die EU zunächst auf Regeln geeinigt, die unmittelbar nach dem Austritt bis zum Abschluss eines solchen Handelsabkommens gelten sollten. Diese Übergangsregeln (der „Deal“) sehen vor, dass in dieser Übergangszeit vorerst alles beim Alten bleibt, UK also weiterhin die Handelsgesetzgebung und die Außenzölle der Europäischen Union beibehält. Das soll danach zu großen Teilen im Rahmen einer Zollunion auch so bleiben, sofern nach zwei (mit Verlängerungsoption bis zu vier) Jahren keine für beide Seiten befriedigende Einigung auf ein Handelsabkommen zustande gekommen ist – diese Vereinbarung wird „Backstop“ genannt. Genau dies ist der Grund, warum der Deal bei vielen britischen Abgeordneten auf Widerstand stößt. Denn es wird nicht einfach sein, die Probleme einer Außengrenze auf der irischen Insel für beide Seiten befriedigend zu lösen. Schließlich hat man in Irland zur Beendigung eines jahrelangen Bürgerkrieges die Abschaffung einer fühlbaren Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verbindlich zugesagt. Wenn die Briten eigene Handelsgesetze machen wollen, dann muss geklärt werden, wie auf der irischen Insel die EU-Gesetze (in Irland) und die neuen britischen Regelungen (in Nordirland) ohne eine sichtbare Grenze nebeneinander Bestand haben können.

Kann eine Neuverhandlung für einen breit akzeptierten, veränderten Deal gelingen?

Nach der deutlichen Ablehnung des May-Deals durch das britische Parlament am 15. Januar hat das britische Parlament am 29. Januar über Mays „Plan B“ (vorgelegt am 21. Januar) sowie über sieben von Abgeordneten eingereichte Änderungsanträge zum Austrittsabkommen abgestimmt. Davon wurden zwei mit recht knappen Mehrheiten angenommen: Zum einen soll es keinen No- Deal-Austritt geben; zum anderen soll May in Brüssel Nachverhandlungen zum Backstop führen. Denn die Briten wollen einerseits garantiert bekommen, dass es zwischen Nordirland und der Republik Irland keine harte Grenze geben wird. Andererseits stören sie sich an ihrer Handlungsunfähigkeit in der derzeit im Backstop vereinbarten Zollunion. Zwar wird mit dem Backstop eine harte Grenze zu Irland vermieden. Aber die Zollunion ist unbefristet und die Briten hätten keine eigene Außenhandelspolitik und auch kein Mitspracherecht bei der EU-Außenhandelspolitik, der sie folgen müssten. Zudem kann die Zollunion erst durch beidseitige Zustimmung aufgelöst werden, sobald ein neues Handelsabkommen vorliegt. Nach der Abstimmung vom 29. Januar hat May nun das Signal des britischen Parlaments, dass es ein Austrittsabkommen mit Änderungen beim Backstop unterstützen würde. Mit diesem Ergebnis wird May nun zurück nach Brüssel gehen. Auch wenn die EU Nachverhandlungen des Austrittsabkommens ausgeschlossen hat, scheint es dennoch wahrscheinlich, dass sie kleinere Zugeständnisse machen könnte. Denkbar wäre beispielsweise eine zeitliche Befristung der Zollunion oder etwa die Einräumung eines Mitspracherechts für die Briten in der Zollunion. Allerdings bleibt es mehr als fraglich, ob die Zugeständnisse der EU bei der nächsten Parlamentsabstimmung in UK Ende Februar für eine Mehrheit ausreichen würden.

Sofern dennoch ein Austrittsvertrag bis zum 29. März eine Mehrheit im britischen Parlament fände und der Vertrag durch die EU ratifiziert würde, könnte die Übergangsphase von zwei Jahren (mit Verlängerungsoption) nach dem Austritt am 29. März beginnen. In dieser Zeit kann ein umfassendes Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich ausgehandelt werden – hoffentlich mit einer guten Lösung für Irland. Die Märkte wären erleichtert: ein Problem weniger. Das Pfund würde aufwerten, die Aktienmärkte bekämen einen kurzzeitigen positiven Impuls. Leider hat dieses Szenario aber nicht die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit.

Was passiert, wenn bis zum 29. März keine Einigung erzielt wurde?

Fahrplan für den Brexit

Sollte auch in weiteren Abstimmungsrunden keine Mehrheit für einen Deal gefunden werden, rücken die beiden anderen möglichen Szenarien in den Vordergrund. Ein harter Brexit, in dem Großbritannien ohne einen Vertrag aus der EU herausfällt, geschieht eigentlich automatisch, wenn sich das Parlament nicht auf ein Austrittsabkommen einigen kann. Zwar ist nach der Abstimmung am 29. Januar klar, dass die Mehrheit im Parlament dies ablehnt. Rechtlich bindend ist dieses Ergebnis aber nicht. Damit wäre der harte Brexit vielmehr ein „Unfall“ aufgrund der politischen Blockade, die eine rationale Willensbildung verhindert. Dennoch hat die Wahrscheinlichkeit des harten Brexit nun leicht zugenommen, da die Abstimmung im Parlament gegen einen No-Deal-Austritt mit 318 zu 310 Stimmenüberraschend knapp ausgefallen ist. Im Vergleich zum harten Brexit erscheint uns das Szenario einer Verschiebung des Austritts wahrscheinlicher. Diese würde entweder nur mehr Zeit für die Abstimmung oder aber einen Rücktritt oder ein erneutes, erfolgreiches Misstrauensvotum gegen die Regierung May bedeuten. Dann gäbe es Neuwahlen, alles stünde wieder auf Anfang. Ein neues Referendum wäre nicht ausgeschlossen, ebensowenig allerdings auch, dass die britische Politik nach sechs Monaten wieder genau so weit wäre wie heute. Die EU hat angedeutet, dass sie im Falle dieser faktischen Vertagung der Entscheidung bereit wäre, die Uhren anzuhalten, allerdings nur einige Monate lang.

Was passiert beim harten Brexit?

Der harte Brexit hat viele Dimensionen. Europapolitisch wäre er eine Katastrophe. Wie sollen die Verhandlungspartner EU und UK je wieder an einen Tisch kommen, wenn sich gerade eindrücklich gezeigt hat, dass keine Einigung möglich ist? Der harte Brexit würde in Europa politisch viel böses Blut schaffen. Wirtschaftlich gäbe es Chaos: Wegen der geschlossenen Grenzen wären Güter, bspw. Medikamente, nicht verfügbar, Reisepläne wären nicht einzuhalten, in Grenznähe würden chaotische Verkehrslagen auftreten. Die ganze Palette an Fehlfunktionen würde man erst in der Praxis feststellen. An den Finanzmärkten könnten die Aktienkurse wie auch der Außenwert des britischen Pfunds in der Größenordnung von zehn Prozent zurückgehen. Renditen von Bundesanleihen würden nochmals sinken, ebenso der Euro-Dollar-Kurs. Der Goldpreis würde steigen. Notenbanken würden zusätzliche Liquidität bereitstellen und überall dort eingreifen, wo die Finanzmarktstabilität angeschlagen erschiene. Das Wachstum in Euroland würde 2019 anstatt etwa 1,5 Prozent nur noch ein Prozent betragen, in Großbritannien wäre der Bremseffekt mit etwa vier Prozentpunkten weniger Wachstum deutlich ausgeprägter. Allerdings dürften all diese Reaktionen vorübergehender Natur sein. Nach einigen Quartalen dürften sich die britischen und die europäischen Unternehmen und Verbraucher mehr und mehr mit der neuen Situation arrangieren: neue Produktionsketten würden gelegt, neue Lieferquellen erschlossen, die Geschäftsmodelle angepasst, einige Unternehmen würden aber auch pleitegehen. Das anfängliche Chaos würde zunächst geringer, dann verschwände es. In dieser neuen Welt würden sich durchaus neue Chancen bieten. Die Finanzmärkte würden recht schnell versuchen, durch diese chaotische Zeit hindurchzublicken. Entsprechend würden die anfänglichen scharfen negativen Marktreaktionen gegen Jahresende 2019 wieder korrigiert werden.

Wie weit wird der Konflikt getrieben?

Man kann davon ausgehen, dass in allen Lagern bis zuletzt gekämpft wird. Viele Politiker wollen gar die Entscheidung so weit wie möglich herauszögern, weil sie meinen, auf den letzten Metern durch den Zeitdruck die Entscheidung automatisch in die von ihnen gewünschte Richtung lenken zu können. Nach der Parlamentsabstimmung vom 29. Januar scheinen entweder eine Verschiebung der Austrittsfrist oder letztlich doch eine Zustimmung zum May-Deal mit einem nachverhandelten Backstop die wahrscheinlichsten Optionen. Der harte Brexit bleibt als Risikoszenario erhalten. Theoretisch könnte sogar ein weiteres Szenario eintreten: Eine einfache Mitteilung der britischen Regierung an die EU einige Minuten vor dem 29. März reicht aus, um den ganzen Austrittsprozess abzublasen. Dies ist jedoch wegen des Gesichtsverlusts für UK eine unwahrscheinliche Variante.

Perspektiven Sich in der privaten Vermögensanlage auf eines der Szenarien Deal/harter Brexit/Verschiebung/Ausstieg aus dem Brexit auszurichten, ist ein reines Glücksspiel. Sicherlich würde ein harter Brexit für eine Reihe von Monaten die europäischen Aktien und Rentenmärkte deutlich beeinträchtigen, die Marktschwankungen wären beträchtlich. Da UK jedoch nur einen Anteil von zwei Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung beisteuert, bleiben die Dinge im größten Teil der Welt so, wie sie bisher waren. Und damit ist der Brexit für eine diversifizierte, auf lange Sicht ausgerichtete Vermögensanlage nichts, mit dem man spekulieren sollte. Aus Sicht der DekaBank ist der geordnete Austritt – entweder über die Verschiebung des Austrittsdatums über den 29. März hinaus oder die Annahme des (eventuell veränderten) Deals nach weiteren Abstimmungen – weiterhin die wahrscheinlichere Variante. Aber auch der harte Brexit ist weiterhin denkbar.

Somit bleibt es spannend in einem politischen Drama, das selbst Shakespeare nicht aufregender hätte schreiben können.

 

In unserer kleinen Präsentation erhalten Sie eine Kurzzusammenfassung: Praesentation Top Thema Brexit – Suche nach Deal geht weiter